Jürgen Aschmotat (inzwischen verstorben) stammt aus einem alten ostpreußischen Bauerngeschlecht und wurde im August 1940 geboren. Sein Großvater hatte den Hof in dem Ort Ragnit bei Tilsit mit viel Fleiß und Engagement groß gemacht. Der Vater studierte Agrarwissenschaft, übernahm den Hof und baute eine Rinder- und Trakenerzucht und eine Riesenschweinemast mit freiem Auslauf auf. Seine Mutter war, als er zwei Jahre alt war, an Nierenversagen verstorben. Jürgen hat noch eine ältere und eine Zwillingsschwester. Er verfügt über sehr gute Erinnerungen an seine frühe Kindheit und die dramatischen Ereignisse der letzten Monate des Krieges und Zusammenbruches Deutschlands. „Mein Vater war Bauernführer der Faschisten, begeisterter Luftwaffensoldat und als Nachtjäger eingesetzt. Er war bis zuletzt stolz auf seine "Heldentaten". Mein Großvater und ich haben ihm immer wieder klarzumachen versucht, dass seine NazipolitikSchuld daran war, dass der Familie Hof und Heimat verloren ging. Heute wird das elterliche Anwesen von Kirgiesen bewirtschaftet, die, als ich sie vor drei Jahren besuchte, nicht einmal wussten, dass dort früher Deutsche gelebt hatten. Als der Vater als Soldat in den Krieg zog, übernahm mein Großvater wieder den Hof. Er bereitete bereits 1944 die Flucht vor der immer näher heranrückenden Ostfront vor, rüstete vier große Planwagen für die Flucht her und stattete sie mit eingeweckten Wurst- und Fleischwaren und anderen Vorräten aus, von denen wir ein Jahr lang hätten leben können und brach auch schon rechtzeitig mit uns mit dem Pferdetreck auf, kam aber nur etwa 100 Kilometer voran, weil die SS uns an der Weiterfahrt hinderte. Man glaubte immer noch fanatisch an den Endsieg. Wir wurden unterwegs zweimal von der russischen Front überrollt. Die Bilder von den brennenden Scheunen, kokelnden Häusern, herumliegenden Leichen und roten Blutlachen im tiefen Schnee sehe ich wie gestern. Wir saßen im Keller, oben brannte der Pferdestall und ich höre heute noch die vor Todesangst schreienden Kreaturen. Für 1 ½ Tage ging die Front immer hin und her, bis wieder deutsche Soldaten auftauchten und uns zur Fortsetzung der Flucht ermunterten. Mein Großvater wurde verwundet und war fortan stark behindert, die weitere Flucht aktiv mitzugestalten. Zwei französischen Kriegsgefangenen, die mehr Angst vor den Russen hatten, als wir selber, haben wir zu verdanken , dass es uns doch noch gelang, über das Frische Haff westwärts zu entkommen. In Danzig mussten wir alles stehen und liegen lassen, kamen mit Mühe und Not noch in einen Eisenbahnzug (mein Großvater schob uns Kinder durch ein Fenster in den völlig überfüllten Waggon) und auf diesem Wege zu Verwandten nach Berlin, wo ich die Bombenangriffe der letzten Kriegsmonate erlebte. Wir wurden zweimal ausgebombt. Mit meiner Zwillingsschwester zusammen wurde ich von den übrigen Verwandten getrennt. Später verschlug es uns nach Walsrode und Bergen-Hohne in der Südheide, wo mein Vater beim Aufbau der Bundeswehr und ihrer Einrichtungen beruflich engagiert war. Er hatte immer noch die Sehnsucht nach allem Militärischen und pflegte weiterhin Kontakte zu den "alten Kameraden". Mir sind noch die "blonden Siegfrieds" von Hitlers früherer Leibstandarte in Erinnerung, die im Hause meines Vaters verkehrten.
In der Heide wurde ich dann eingeschult und wuchs dort auf. Wegen eines bestimmten Ereignisses flog ich von der Mittelschule. Ich galt als der ganz Böse und wurde dann in der Folge aus der 8. Klasse der Volksschule entlassen.
Nirgends fühlte ich mich heimisch und wollte immer nur weg, weg, weg!“ Sofort nach der Schulentlassung ging Jürgen am 16. Mai 1954 mit 14 Jahren als Schiffsjunge zur See. Die deutsche Seefahrt kam zu der Zeit gerade wieder in gang. Die neue deutsche Handelsflotte bestand überwiegend aus kleineren Schiffen in der kleinen und mittleren Fahrt. Sein erstes Schiff, auf dem er 13 Monate blieb, war ein Küstenmotorschiff namens "Planet". „Wir waren auf dem kleinen Kümo 13 Mann an Bord. So große Besatzungen kann man sich heute kaum noch vorstellen. Es war eine wirklich schöne Zeit! Ich fühlte mich gegenüber allen Schulkollegen überlegen, lernte die Welt und viele Menschen kennen.“ Sein zweites Schiff, ein Kabelleger, fuhr unter dem Namen "Nordenham" und bot ihm für gut zwei Monate Arbeit und Heimat. Vom Schiffsjungen über Jungmann und Leichtmatrosen diente er sich zum Matrosen hoch.
„Auf einem kleinen Schiff, der "Elfriede" waren wir zunächst in der Westafrikafahrt unterwegs. Es war ein in jeder Weise ungewöhnliches Schiff. Der "Scheich" (Bootsmann) war ein Urtyp vom alten Schrot und Korn. Ich war damals siebzehn und noch Leichtmatrose. Wir lagen in Dakar im Senegal (zu der Zeit noch französische Kolonie). Einige Kollegen hatten sich mit einer Gruppe französischer Marinesoldaten geprügelt und dabei den Kürzeren gezogen. Da ordnete der Bootsmann an: Maschinen abstellen, Petroleumlampen als Positionslichter aufhängen und alle Mann zur Revanche gegen die Marineleute! Auch diese Schlacht endete mit einem Fiasko für uns: Die Mariner waren uns überlegen.
Ich hatte mit mehreren Kollegen zusammen ab Freitag über das Wochenende Landgang. Am Montag sollte das Schiff nach Conakry in Guinea auslaufen, um einige Tage später wieder nach Dakar zurückzukehren. Wir hatten diese Linientour schon siebenmal gemacht. Ich lernte bei einer Feier einige Franzosen kennen, die mich per Auto mit auf eine Farm im Landesinneren nahmen. Wir hatten gebechert, es waren Mädchen dabei, ich war fröhlich, munter und jugendlich unbekümmert. Zwei der Franzosen stammten aus dem Elsass und sprachen gut deutsch. Auf der Rückfahrt nach Dakar saß ich bei einem der Franzosen im Auto, mit dem ich mich sprachlich überhaupt nicht verständigen konnte. Plötzlich hielt er an einer Kreuzung, erzählte mir etwas auf französisch, was ich nicht verstand, setzte mich vor die Tür und fuhr davon. Erst später merkte ich, dass ich etwa 160 km vom Hafen entfernt mitten in der einsamen Savanne saß. Der schwarze Dorfpolizist in der nächsten Ansiedlung und die anderen afrikanischen Dorfbewohner nahmen mich freundlich auf, obwohl ich kein Geld bei mir hatte, fütterten mich eine Woche lang durch und brachten mich schließlich auf abenteuerlichen Wegen wieder zum Hafen zurück, wo mein Schiff am Freitag darauf wieder einlief. Die freundliche Hilfsbereitschaft dieser "Eingeborenen" war für mich in früher Jugend ein Schlüsselerlebnis, das mich für den Umgang mit einfachen Leuten in der ganzen Welt prägte und entscheidend für mein Psychogramm. An Bord zurückgekehrt, gab es natürlich gewaltigen Krach mit dem "Alten". Der Bootsmann lächelte nur weise. Ich lief tagelang mit hängenden Ohren herum und mußte einen Monat lang kleine Brötchen backen. Aber letztlich war die Bordobrigkeit froh, dass ich wieder da war und man dem ganzen Ärger des Meldens an die Reederei vermeiden konnte. Da ich bei Kollegen und Vorgesetzten einigermaßen beliebt war, war die Episode dann aber bald vergessen. Die Arbeitsverdichtung heutiger Bordverhältnisse war damals noch nicht vorstellbar. Es war immer genügend Luft vorhanden, so dass die anderen die Arbeit eine Woche lang mit erledigen konnten.
Später war die "Elfriede" in der Große-Seen-Fahrt (es gab dort die großen Schleusen erst seit 1957) von Liverpool aus nach Nordamerika für die Cunard-Line unterwegs, um den nordamerikanischen Markt zu erkunden. Unser kleines Schiff passte gerade noch durch die alten Schleusen, von denen es ungefähr 34 Stück ziemlich kurz nacheinander zu durchfahren gab. Dadurch hatten wir viel Arbeit und kamen etwa 24 Stunden hintereinander nicht zur Ruhe. Matrose wurde ich ohne Schulschiff, Berufsschule, irgendeinen Lehrgang oder sonstige theoretische Unterweisung. Es gab noch diese alten Typen von Seeleuten, bei denen man die ganzen Tricks kennen lernen konnte. Nach drei Jahren Seefahrt war ich einer der Besten im Handwerklichen. Mit dem 1. Offizier verstand ich mich nicht gut und sollte schon dreimal "den Sack kriegen". Aber der "Alte" hielt immer die Hand über mich und renkte wieder ein, wenn der Haussegen schief hing. Nach drei Jahren Fahrzeit wollte ich endlich Vollmatrose werden und deshalb abmustern. Eines Tages sagte dann der Bootsmann: "Den können wir zum Matrosen machen." Vor dem deutschen Konsul in Montreal wurde ich zum "vorläufigen Matrosen" gekürt. Als ich nach Deutschland zurückkam, machte ich an der Seemannsschule in Finkenwerder ohne schulische Vorbereitung an einem Tag die Matrosenprüfung.
Später fuhr ich noch auf vielen Schiffen bei fast allen damals bekannten deutschen Reedereien, so bei Hamburg-Süd, Llaeisz, Schulte & Bruns, Ahrenkiel, Wöhrmann, Stinnes, Leonhardt & Blumberg und Schuchmann. Nur bei der Hapag war ich nie. Auf einem BP-Tanker arbeitete ich in einer 52köpfigen Besatzung. Später war ich auf mehreren Schiffen als Bootsmann tätig und hatte u. a. neun Monate lang die Decksarbeiten mit 19 Leuten an Bord auf der "Andrea" zu koordinieren. Für 1 ¾ Jahre war ich auf einem belgischen Kühlschiff gemustert. Wir holten Früchte oder Fleisch aus der Karibik, Brasilien oder Argentinien. Da fast nur Wallonen an Bord waren, war die französische Küche tonangebend. Der Unterschied zur deutschen Küche war gewaltig. So gut bin ich nie wieder verpflegt worden. Ich hatte nach der Reise 20 kg zugenommen. Vier Jahre fuhr ich auf britischen Schiffen. In dieser Zeit perfektionierte ich auch meine englischen Sprachkenntnisse. Aber je tiefer man in die englische Sprache eindringt, um so komplizierter erscheint sie einem. Mit Englisch kam ich fast überall in der Welt zurecht. Auf Spanisch kann ich mich aber auch ganz gut verständigen.
1976 wurden wir auf der "Marita Leonhardt" mit 42 Mann Besatzung im Hafen von Maputo in Mozambique vom Ende der Kolonialzeit in Folge der portugiesischen Nelkenrevolution überrascht. Wir sollten Ladung aus dem benachbarten damaligen Rhodesien (heute Simbabwe) übernehmen. Aber die Eisenbahnverbindung war unterbrochen und das zu ladende Kupfererz kam nicht heran. So blieben wir für vier Monate in Maputo hängen. Dort lernte ich Lucia, ein bildhübsches und hochintelligentes Mischlingsmädchen kennen. Ich mietete mir eine Hütte an Land und verbrachte meine arbeitsfreie Zeit außerhalb des Schiffes. Mit schwarz getauschten 100-$-Devisen konnte ich in Mocambique längere Zeit sehr gut leben und die befreundete einheimische Familie mit mir. Lucia hatte eine Ausbildung in China hinter sich und stand somit auf der damals sehr gefährlichen Grenze zwischen den moskautreuen und peking-orientierten Genossen. Später verschwand sie offenbar aus diesem Grunde spurlos. Im anfänglichen Freiheitsrausch spielte das aber noch keine Rolle. Beim für mich zuständigen Polizeikommissar, dem dicksten Neger, den ich je kennen gelernt habe, bekam ich einen für mich sehr wichtigen Passierschein, mit dem ich selbst die allgemeine Nachtausgangssperre umgehen konnte. Ich galt bei den machthabenden Frelimo-Genossen als wohlwollender Schriftsteller aus dem sozialistischen Deutschland, der in einem Buch über die große Revolution berichten wollte. Dadurch standen mir alle Türen offen. Es war für mich eine hochinteressante und erlebnisreiche Zeit. Aber schon innerhalb dieser vier Monate konnte man den enormen wirtschaftlichen Abstieg des Landes beobachten. In der früheren Kolonie herrschte bis zur Revolution größerer Wohlstand, als im Mutterland. Die Portugiesen verließen das Land in Scharen. Die einheimischen Massen verelendeten zusehends und der spätere Bürgerkrieg stürzte das Land in nie gekannte Not.“
Vier Jahre war Jürgen bei der Reederei Schuchmann auf Hochseeschleppern (12 Mann Besatzung) tätig. „Das ist ein ganz besonderer Teil der Seefahrt, der interessanteste während meiner ganzen Seefahrt. Man kommt mit den auf See Verunglückten ganz direkt in Kontakt. Sei es Ruderschaden, Feuer an Bord oder andere Havarien, die Arbeit ist seemännisch sehr anspruchsvoll.
Soweit es die Schiffsliegezeiten zuließen, machte ich oft Abstecher ins Landesinnere, z.B. eine zehntägige Rundreise durch Israel.
Mit meinem Vater lag ich ständig im Clinch. Zwischen uns bestand ein typischer Ödipus-Zwist. Von daher resultiert auch wohl meine politisch eher linke Haltung. Ich wurde von der 68er-Bewegung geprägt und fand meine politische Heimat später bei den Jusos und Grünen. Wir, die 1968er-Jugend haben die Welt in wenigen Jahren mehr bewegt, als alle Generationen zuvor. In den 1970er Jahren habe ich in meiner Sturm- und Drang-Zeit einmal bei einer Demo gegen Axel Springers Bildzeitung auf dem Hamburger Gänsemarkt von der Polizei eine Tracht Prügel bezogen. Ich verkehrte damals in Kreisen um Cohn-Bendit, der die Pariser Mairevolution mit geprägt hatte. Teufel von der Berliner Kommune 1 war mit dabei. Beim Seeleutestreik 1972 im Hamburger Hafen war ich engagiert. Die damaligen Sprünge im Tarif waren aber wohl mehr auf den seinerzeitigen Personalmangel als auf unsere Streikaktionen zurückzuführen.“
Die Bekanntschaft zu einem Mädchen in Lübeck, das ihn an Land zurückhielt, brachte ihn zur Seefahrtsschule, wo er nach drei Semestern das nautische AK-Patent machte. Die Beziehung ging in die Brüche und er fuhr wieder, jetzt als Nautischer Offizier, zur See.
Von 1983 bis 1986 fuhr Jürgen als Steuermann auf den Schiffen "Fridel" , "Teka" , "Thies" , "Ume" , "Elbstrand" , "Bungsberg" und "Schulau" bei der selben Reederei. Sein letzter Job an Bord war eine fast zweimonatige Urlaubsvertretung 1987 als Steuermann auf dem Schiff "Silke". In 30 Jahren Seefahrtszeit verbrachte er zusammengerechnet fast 20 Jahre an Bord.
„Trotz vieler Arbeit an Bord mit bis zu 180 Überstunden im Monat hatte man früher noch Zeit zu Gesprächen mit Kollegen. Konsensfähigkeit war in der geschlossenen Bordgesellschaft zwangsläufig gefordert. Auch zum Lesen kam ich damals noch viel. Gezielt besorgte ich mir Bücher oder ließ sie mir aus der Heimat nachschicken. Mich interessierte Sachliteratur, die soziale Entwicklung auf der Welt oder Aussagen über zeitgeschichtliche Themen. Ich verschlang mit besonderer Vorliebe den französischen Existentialisten Jean-Paul Sarte, aber auch Heinrich Böll, Günther Grass, Siegfried Lenz, Dickens, den Amerikaner Joice, die alten Russen Tolstoi, Gogol, Tschechow und Dostojewski. Den "Idiot" habe ich mir kürzlich noch im Ernst Deutsch-Theater, von einem russischen Ensemble aufgeführt, mit Simultanübersetzung angesehen. Steiners Bericht über die Einwanderernot in den USA faszinierte mich. Ich las auch englischsprachige Bücher. Heute käme ich dazu an Bord nicht mehr. Hektik und Stress erlauben bei der Wachablösung nur noch einen kurzen "Gute Wache"-Gruß. Die übrige Zeit braucht man zum regenerierenden Schlaf. Durch die Einführung der modernen Technik an Bord wurde zwar die Möglichkeit geschaffen, große Transportmengen mit wenig Personal zu bewältigen, aber Muße und Kommunikation mit Kollegen bleibt auf der Strecke. Was früher der jetzt eingesparte Funker oder 3. Offizier an Verwaltungskram erledigten, bleibt heute beim 2. Offizier oder Steuermann hängen. Wichtige Arbeiten bleiben oft liegen. Ein Beispiel: Wir lagen mit Maschinenschaden in der Bucht vor Edinburgh und mussten Anker werfen. Da erhielten wir einen Anruf von der britischen Küstenwache, wir befänden uns genau über einer Gasleitung, wo das Ankern strickt verboten sei. Ich war erst seit ganz kurzer Zeit an Bord und wusste nicht, daß mein Vorgänger aus Zeitmangel nicht dazu gekommen war, die neuesten "Nautischen Nachrichten" in unsere Seekarten einzutragen. Ich hatte solche Arbeiten verbotenerweise während meiner Brückenwache erledigt."
1988 machte Jürgen das Schiffsmotorführerpatent CNAUT, 1989 den Abschluss zum EDV-Organisator Schifffahrt und nahm 1989/90 an einem Lehrgang für Logistik teil. 1992 bestand er nach drei Semestern an der Seefahrtschule in Cuxhaven das Kapitänspatent AM.
Seit 1961 wohnte er während seiner Aufenthalte in Hamburg immer wieder im Seemannsheim am Krayenkamp. Zwischendurch war er mit verschiedenen Frauen liiert und wohnte mit ihnen zusammen. Fünf Jahre lang lebte er in Neustadt an der Ostsee und gründete dort den BUND-Naturschutzverein. Von Neustadt aus jobte er auf einem Angelkutter.
Warum er jetzt nicht mehr zur See fahre? "Sicher hätte ich noch Chancen, einen einigermaßen gut dotierten Job zu bekommen. Aber die Bedingungen der heutigen Seefahrt sind für mich inakzeptabel. Der Hauptgrund sind die nicht mehr eingehaltenen Sicherheitsstandards. 1984 erlebte ich auf der "Ume" einen Kammerbrand an Bord. Ich war auf der Brücke, als ein russisches Besatzungsmitglied aufgeregt und total verstört zu mir hereinstürzte und mir in russischer Sprache einen Wortschwall zuschrie, den ich nicht verstand. Er konnte kein Wort englisch, was bei der täglichen Bordroutine nicht von großer Bedeutung war, weil ihm die Anordnungen durch einen seiner Kollegen übersetzt wurden. Jetzt aber war seine Verständigungsschwierigkeit von lebensbedrohlicher Tragweite für uns alle. Erst als ihm einfiel, auf den roten Knopf für Feueralarm zu drücken, wusste ich, was er wollte. Wichtige zehn Minuten waren vergangen. Mit Mühe und Not konnte ich noch schnell den Feuerschutzanzug anlegen und mit einem Pulverfeuerlöscher den Kammerbrand zum Stillstand bringen. Etwas später hätte es zur Katastrophe für uns alle werden können.
In der weiten Welt verlebte ich auch meine Urlaube: Südostasien, Südamerika, Nordamerika.
Ich machte oft lange Urlaub, bis zu zwei Jahren. Im Schnitt fuhr ich etwa fünf Monate zur See und war dann sieben Monate auf Urlaubsreisen. Mir wären meine vielen ausgedehnten Reisen aber nie so gelungen, wenn ich nicht zur See gefahren wäre. Bei meinen Landaufenthalten während der Seefahrt knüpfte ich überall erste Kontakte und lernte Insider kennen, die mir Wege und Türen öffneten. Nach Ende der Reise nahm ich dann längeren Urlaub und flog meistens dort hin, wo ich kurz vorher mit dem Schiff war. Wenn ich unterwegs abmusterte, mußte ich aber aus versicherungstechnischen Gründen jedes mal erst nach Deutschland zurückkehren, da die Reederei sonst für mich hätte haften müssen. Meine Personaldirektoren in den Reedereien waren von meinen langen Urlaubsreisen allerdings wenig erbaut, konnten sie dann doch nicht über mich verfügen. Ich fand immer preiswerte Fluglinien, z.B. flog ich schon damals über London mit "Laker-train" für 260 $ nach New York und zurück. 1972 reiste ich auf diesem Wege in die Staaten, wo ich bei einem Schiffsaufenthalt in New York einen ehemaligen amerikanischen Korea-Piloten kennen gelernt hatte, über den ich die ersten tieferen Kontakte zur Neuen Welt knüpfte. Ich kaufte mir für 2.500 $ ein Auto und fuhr drei Monate durchs Land bis zur mexikanischen Grenze. Dort verkaufte ich das Fahrzeug mit Gewinn für 2.600 $ und zog über Mexico mit Bus und Flugzeug durch Südamerika bis runter nach Feuerland. Die Welt ist so wunderschön. Man lernt die tollsten Typen kennen. Ich war bescheiden und kam mit wenig Geld sehr weit. Mit 250 $ im Monat kann ich quer durch die Welt reisen. Die Leute müssen in der "dritten Welt" meistens von 150 bis 200 DM Arbeitseinkommen eine vierköpfige Familie ernähren. An deren Maßstäben habe ich mich orientiert. Einen meiner vielen Urlaube verbrachte ich in Brasilien. Von Belem aus, das im Osten Brasiliens an der Mündung des Amazonas liegt, unternahm ich auf kleinen Flussfahrzeugen und Kanus zunächst Abstecher durch das weitläufige Flussarmlabyrinth, später etappenweise eine viermonatige lange Reise den Amazonas aufwärts bis ins Quellgebiet in Ecuador. Die Elbe ist im Vergleich zum Amazonas ein Rinnsal. Tausende große und kleine Nebenarme bilden eine unübersehbare Flusslandschaft. Mal zog ich mit einheimischen Orchideen- oder Teesammlern, mal mit amerikanischen oder portugiesischen Holzaufkäufern, Achat- oder Goldsuchern auf Versorgungsbooten und Kanus mit Außenbordmotor oder mit Paddeln immer ein Stück weiter. Die Fahrten auf dem Amazonas und seinen unzähligen Armen und Nebenrinnsalen durch den Urwald ist im Grunde eintönig und langweilig, da sich die Bilder am Flussufer immer wieder gleichen. So kam ich aber mit meinen Begleitern besser ins Gespräch. Mit einem Kauderwelsch aus Englisch und Portugiesisch und einer reichen Gestik konnte ich mich immer verständigen. Ich gelangte schließlich bis Inglucia in Ecuador an den einen der Quellflüsse des Amazonas, dem El Tigre. Von dort flog ich nach Quito jenseits der Anden, nicht etwa, weil diese für mich nicht auf dem Landwege zu überqueren gewesen wären, sondern weil das Gebiet durch die Revolutionsgarden "Leuchtender Pfad" als unsicher galt. Ich war zwar sozialpolitisch engagiert und hatte Verständnis für die Revolutionäre, mit den kämpfenden Gruppen als Ausländer in Berührung zu kommen, schien mir jedoch zu gewagt.
In Penang, der Perle des Ostens, in Malaysia gab es damals noch einen Geheimtipp: ein kleines uraltes Hotel direkt am Strand, geführt von einem chinesischen Hotelier mit einer Großsippenfamilie. Dort hatte ich, als ich etwa Mitte 30 war, mein Stammquartier bei meinen Reisen durch Südostasien. Für 1.200,- DM bekam ich von Deutschland aus ein Flugticket nach Malaysia mit einem Jahr Gültigkeit für den Rückflug. Ich lernte dort interessante Leute kennen. Einen österreichischen Journalisten begleitete ich als Bildreporter nach China. Anlässlich einer Messe in Schanghai trafen wir mit Presseoffizieren der chinesischen Volksarmee zusammen und diskutierten über Reketentechnik. Dabei merkte ich, dass man, wenn man mit den Leuten warm geworden war, schnell auf ganz persönliche Alltagsthemen kam, wie Familie, Kindererziehung, Lebensbewältigung.
Mit einem schweizer Münzsachverständigen, einem Unikum von Menschen, der nur von seiner Sammelleidenschaft beseelt war, zog ich sechs Monate lang durch Malaysia, Thailand und Indonesien, um historische Münzen und für Sammler, interessante exotische Geldscheine und Prägestempel aufzukaufen. Einzelne kleine Fürsten hatten in den dreißiger Jahren noch in ihrem Herrschaftsgebiet das Münzrecht gehabt. Einmal kaufte mein Begleiter drei Säcke mit Geldscheinen, die nie Gültigkeit als Zahlungsmittel gehabt hatten, als Sammelobjekte in Europa und Nordamerika aber gutes Geld brachten.
Mit Reisekleidung und Verpflegung passte ich mich immer den Gepflogenheiten meiner jeweiligen Umgebung an. So kommt man auch in Badelatschen durch den Urwald. Nur einmal hatte ich dadurch gesundheitliche Probleme: Auf Sumatra hatte ich in einem kleinen Dorf unabgekochtes Wasser getrunken und war schwer an einer ruhrartigen Infektion erkrankt. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Trinken! Viel trinken, um nicht auszutrocknen. Nach kurzer Zeit stand ich wieder auf den Beinen.
Von Penang aus unternahm ich mehrere weite Reisen, etwa ins Goldene Dreieck im Norden Thailands oder nach Kathmandu in Nepal, das damals als das Hippieparadies galt und in der Zeit der sexuellen Revolution auch viele Hübsche Mädchen aus aller Welt anzog, die oft knapp bei Kasse und daher Kontakten nicht abgeneigt waren. Viele junge Leute fuhren damals mit der Eisenbahn für 420,- DM von Deutschland aus über den Balkan, die Türkei und Persien bis nach Islamabad und flogen von da aus in eineinhalb Flugstunden nach Kathmandu. Dort konnte man im guest-house für 32 Pfennige übernachten. Mich zog weniger das Haschischeldorado als solches, als vielmehr die Szene an.
Von Malaysia aus hatte ich 1977 eines Tages Gelegenheit, mit einer Militärmaschine kostenlos einen abenteuerlichen Flug nach Australien machen zu können. Weiter flog ich mit einem Inselhüpfer, einer kleinen Maschine, zu den Kiribati-Inseln, den früheren britischen St.Gilbert-Islands, von denen viele Seeleute auf deutschen Schiffen arbeiten. Ich fand dort alte Bekannte wieder, mit denen ich zusammen an Bord gearbeitet hatte, deren Leben in ihrer Heimat mich sehr interessierte. Kiribati-Seeleute fahren auf deutschen, niederländischen und australischen Schiffen. Solange man den Leuten an Bord den Alkohol sperrt, sind es treue gute Arbeiter. Einmal waren wir zwei Bootsmänner an Bord, ein kiribatischer mit seinen Leuten und ich mit deutschen Matrosen. Eine zweite kiribatische Mannschaft fuhr noch zum Übersteigen in ein anderes Schiff eine Weile mit uns. Von zehn Mann waren zwei in der Regel besser als deutsche Seeleute, die übrigen acht bedurften intensiver Anleitung oder sie fegten den ganzen Tag unproduktiv auf der gleichen Stelle. Zunächst wohnte ich in einem guest-house, mußte dann aber der Einladung eines alten Freundes, einem Mister Veno, nachkommen, in seinem Hause zu wohnen. Seine Einladung auszuschlagen, wäre eine Beleidigung gewesen. Ich tat dies auch gerne, lernte ich so doch die Alltagsgewohnheiten der Leute besser kennen. Mit den Fischern fuhr ich in ihren Booten mit hinaus. Sie tauchten auch nach Schwämmen, die nach Australien verkauft wurden. Bis zu drei Minuten blieben die Leute unter Wasser, nur mit einer Nasenklemme ausgerüstet, tauchten 12 bis 15 Meter tief und ich konnte sie durch das kristallklare Wasser dabei beobachten. Wer Vorräte oder Geld hat, hat in der kiribatischen Kultur immer die Verpflichtung, für die ganze Großsippe mit aufkommen zu müssen, so dass die kiribatischen Seeleute ihr Geld in der Regel an ihre Sippe weitergeben. Einige von ihnen haben sich an Bord jedoch bereits abgesprochen, denen zu Hause Heuererhöhungen zu verschweigen, um das hart verdiente Geld nicht in voller Höhe weitergeben zu müssen. Etliche Kiribatis waren durch die Seefahrt zur Alkoholabhängigkeit gekommen. Soweit man nicht in der Seefahrt Devisen verdient, lebt man auf den Inseln vom Fischfang, vom Kopraverkauf und vom Gemüseanbau zwischen den Kokospalmen. Geerntet wird das ganze Jahr über. Tourismus gibt es dort kaum. Die Umwelt ist meistens noch intakt. Lediglich auf einer Insel wird mit entsprechenden Folgen für die Natur Bauxit abgebaut. Es sind flache Inseln ohne Berge. Bewohnbar sind sie allerdings nur, wenn Brunnen gegraben werden können. Sobald das Trinkwasser fehlt, bleiben die Inseln unbewohnt. Man fängt auch viel Regenwasser in Zisternen auf. Ich blieb drei Wochen auf den Kiribati-Inseln.“
Der Kontakt mit fremden Menschen und Kulturen hat mich stark beeindruckt und so unbefangen gemacht, dass ich mich in jeder Ecke der Welt wohlfühle. Wenn Bekannte Vorbehalte gegen Fremde äußern, geht mir das unter die Haut und gegen den Strich. Ich komme mit den einfachen Menschen in aller Welt immer sehr gut klar. Wenn man die Leute richtig behandelt, hat man überall nur Freunde. Der Seemannsberuf bedingt automatisch einen intensiven Kontakt mit Ausländern. Dabei steht die Behandlung und Lösung der anfallenden Sachprobleme beim Navigieren in für uns fremden Gewässern und der Handhabung der zu verschiffenden Ladung und die dabei entstehenden Rechtsfragen im Vordergrund. Die unterschiedlichen Lösungsansätze der eigentlich immer gleichen, wiederkehrenden Aufgaben, bedingt durch verschiedene kulturelle, geographischen Sachzwänge stellt den Menschen vor Ort in den Mittelpunkt und macht ihn ungeheuer interessant. In der zweiten Hälfte der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre, einer Zeit, in der sich die immer schneller verändernde Welt wie Wetterleuchten am Horizont abzeichnete, gab es den Begriff „Multikultur“ nur in kleinen Zirkeln, bei der breiten Masse aber dafür allenthalben Ressentiments dem Fremden gegenüber, aber auch von der anderen Seite. Meine natürliche Neugier, verbunden mit einer positiven Einstellung gegenüber den wechselnden Handlungspartnern, erleichterte die Kommunikation und die Lösung der anfallenden Probleme ungemein und ließ damit beinahe jeden Kontakt zu einem positiven Ergebnis und Erlebnis werden. Bei vielen dieser Kontakte wurde es dann fast automatisch privat und es erwachte schon sehr früh in mir der Wunsch, die unterschiedlichen Strategien zur Bewältigung der essentiellen Lebensanforderungen unabhängig vom Kulturkreis kennen zu lernen. So konnte ich die Vorteile des Seemannsberufes durch die privaten Kontakte ideal im Urlaub nutzen und fand Zugang zu Menschen unterschiedlichster Natur. Der Tourismusboom hat inzwischen die Welt für den Normal(?)bürger kleiner und damit selbst exotischte Ziele erreichbar gemacht, aber es ist in der Regel eine auf die Bedürfnisse des Touristen zugeschnittene ghettosierte Welt mit wenig Kontakt zum realen Leben der einheimischen Bevölkerung und sagt wenig über die Bedingungen der im Lande Lebenden aus. Den Vorteil meines Berufes nutzend, bot sich mir ein ganz anderes Bild vom Leben der einheimischen Bevölkerung. Da es ja immer subjektive Eindrücke sind, erheben sie auch keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Trotzdem glaube ich, dass ich ein umfassendes Bild vom Leben auf den verschiedenen Kontinenten sammeln konnte. An der Freude und der Trauer, an den Festen, die trotz immenser Schwierigkeiten und Restriktionen politischer, kultureller, religiöser oder einfach ökonomischer Natur stattfinden, mit teilzunehmen, offenbart sich ein vielschichtiges, aber ehrlicheres Bild vom Leben auf diesem Globus. Und das hat mir nicht nur viele Freunde und Freude gebracht, sondern auch Hoffnung auf eine sich langsam zum Positiven wandelnden Welt. Somit haben die großen Philosophen nicht vergebens gelehrt.“ - Jürgen Aschmotat ist inzwischen verstorben.
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amüsant und spannend wird über das Leben an Bord vom Moses bis zum Matrosen vor dem Mast in den 1950/60er Jahren, als Nautiker hinter dem Mast in den 1970/90er Jahren berichtet
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